Agiles Arbeiten und Sinn im Lernen

Viele Schüler*innen sehen die Schule nur noch als Prüfungsmaschine. Sie hechten von Klausur zu Test, das dazwischen wird als notwendiges Übel gesehen. Einen Sinn können sie in dieser Konstruktion oft nicht erkennen.

Dabei wäre Sinn etwas, was wir in der Schule dringend gebrauchen können. Ein Baustein dazu, wie wir wieder Sinn in das Lernen in der Schule bringen können, ist Agiles Lernen. Das Grundkonzept habe ich schon einmal in einem vorherigen Artikel beschrieben (klick hier) und es gibt viele tolle Blogartikel zum Agilen Lernen.

Ich möchte hier meine Erfahrungen teilen, wie man mit dem Konzept des Agilen Lernens ein Angebot für einen Sinn im schulischen Lernen machen kann. Es kann nur ein Angebot sein, weil man „Sinn im Tun“ nur selber finden kann, er ist nicht durch einen Lehrplan zu verordnen. Aber als Lehrender kann ich einen Raum schaffen, dass die Schüler*innen einen Anknüpfungspunkt zu Ihren eigenen Ideen und Emotionen finden und damit ihr schulisches Lernen etwas mehr mit ihrem persönlichen Leben zu überlappen.

Erster Baustein: Im Agilen Lernen werden Produkte hergestellt, die etwas nützen. Der einfachste Nutzen kann es sein, eine Aufarbeitung der Lerngegenstände herzustellen, die bei dem nächsten Test oder Klausur helfen kann, die Aufgaben erfolgreich zu lösen. Das setzt natürlich eine Prüfungskultur voraus, in der die Schüler*innen ihre Aufzeichnungen bei den Prüfungen nutzen dürfen.

Zweiter Baustein: Agiles Lernen ist nicht linear, sondern asynchron. Es wird nicht stur ein Lernplan (Chapter 2-7) abgearbeitet, sondern die Lernenden entscheiden im Team ihre Arbeitsschritte. Eben agil, an die gerade vorhandenen Notwendigkeiten angelehnt. Wenn Schüler*innen ihre Lernwege selbst bestimmen können, trägt es zur Sinnfindung im Lernen bei. Das muss nicht heißen, dass es keine linearen Übungsphasen geben kann, sie sind aber eher ein Exkurs.

Dritter Baustein: Lernergebnisse haben einen Wert. Sie werden nicht nur zur Notenermittlung erstellt, sondern haben einen realen Wert: Sie werden ausgestellt, anderen Schüler*innen zur Verfügung gestellt, veröffentlicht usw.

Vierter Baustein: Lernen findet nicht nach einem vorgegebenen Plan statt, sondern den Plan machen die Schülerinnen in ihren Team selber. Die Schülerinnen-Team stellen ihren Backlog zusammen, erstellen Tasks und teilen die Aufgaben in ihrer Gruppe auf. Flankierend gebe ich als Lehrender inhaltliche Inputs oder Strukturierungshilfen für die Teamarbeit, z.B. in Form einer Fortschrittsliste.

Ein typischer Workflow im Agilen Lernen sieht folgendermaßen aus:

Ich erstelle einen Arbeitsplan, in dem ich den Rahmen des Lernprojekts abstecke. Darin enthalten ist das inhaltliche Thema (worum geht es?), Aufgaben und Arbeitsvorschläge (hier achte ich darauf, dass alle Anforderungsbereiche abgedeckt sind), freie Aufgaben sowie Materialien und Links.

Das zu erstellende Produkt, das das Team am Ende abgeben muss, lege ich fest oder bespreche mit der Klasse das Produkt.

Zuerst erstellen die Teams einen Backlog, sie sammeln alle Teilaufgaben auf Post-Its und kleben sie auf ein Blatt. Das kann auch die Form eines Brainstormings haben. Die Schüler*innen sammeln erste Ideen für ihr Team-Produkt (z.B. ein Dossier, ein Portfolio, eine Präsentation, einen Film usw.).

Dann geht es in den ersten Sprint: Aus dem Backlog werden die Aufgaben/Post-Its, die in dem ersten Zeitabschnitt (z.B. eine Woche) erledigt werden sollen, im Kanban-Board nach „To-Do“ verschoben. Dann wird genau geschaut, ob die Aufgaben auf den Klebezetteln auch wirklich in einem Sprint zu schaffen sind oder zu umfangreich sind (was bei Schüler*innen schnell passiert). Dann muss die Aufgabe auf mehrere Post-Its verteilt werden.

Nach diesem Schritt werden die Aufgaben im Team verteilt: Sprint-Planning. Die Tasks werden in die Spalte „Doing“ verschoben. Und dann geht die Arbeit los.

An einem festgelegten Zeitpunkt wird die Arbeit für ein Stand-up-Meeting unterbrochen: Für ca. 5 Minuten trifft sich das Team vor dem Kanban-Board und bespricht den Arbeitsstand. Dann geht die Arbeit weiter.

Am Ende des Sprints muss Zeit eingeplant werden, den Zwischen-Arbeitsstand, den Prototypen des Produkts, beim Product Owner (meist die Lehrperson) abzugeben (Sprint Review). Die Lehrenden können dann bis zur nächsten Woche (nächster Sprint) sich die Zwischenergebnisse anschauen und ein Feedback geben.

Zum Schluss trifft sich das Team und macht eine Retrospektive und schreibt stichwortartig auf, wie die Teamarbeit im Sprint gelaufen ist und was im nächsten Sprint verbessert werden soll.

In der nächsten Woche beginnt der Kreislauf von neuem. Man verabredet vorher, wieviele Sprints vorgesehen sind und wie perfekt das Produkt am Ende sein soll.

Es ist völlig egal, ob man diesen Prozess analog oder digital durchführt. Analog arbeite ich mit Flipchartpapier und gelben Post-Its, jedes Team hat ein Kanban-Board. In letzter Zeit arbeiten die Schüler*innen mehr digital, dann erstelle ich ihnen auf Taskcards ein Board, das sie sich selber gestalten.

Am besten man fängt einfach mal an und geht mit den Schülerinnen zusammen auf Entdeckungsreise in der Welt des Agilen Lernens. Die Schülerinnen werden sich freuen, selbstbestimmter Teil des Projekts zu sein.

Ein ganzes Kollegium erstellt Lernumgebungen in Moodle

Der Dienstag nach dem Reformationstag in Hamburg. An der Reformschule Winterhude trifft sich das ganze Kollegium in der Aula, um gemeinsam Unterrichtsvorbereitung zu machen. Der Rahmen ist eine Ganztagskonferenz.

Dabei ist diese Unterrichtsvorbereitung etwas besonderes: Das Kollegium hat sich verabredet, Lernumgebungen in dem Lern-Management-System (LMS) Moodle zu erstellen. Dabei ist der Begriff „Lernumgebung“ neu. Der Begriff ist aus der Diskussion um Digitales Lernen entstanden und meint die digitale Bereitstellung aller Ressourcen für die Bearbeitung eines Themas oder einer Lerneinheit.

In der klassischen Schule war der Lehrende der Hüter der Lerneinheit, er/sie führte die Schüler*innen durch eine meist lineare Vergabe von Aufgaben durch die Einheit. An der Winterhuder Reformschule (WiR) wird schon seit Jahrzehnten in sog. Bausteinen gelernt, mit denen sich die Lernenden im eigenen Tempo und Auswahl der Aufgaben durch die Lerneinheit bewegen konnten. Meist waren diese Bausteine eine zusammengeheftete Sammlung von Arbeitsblättern, die nacheinander abgearbeitet wurden.

Die Digitalisierung brachte ganz neue Möglichkeiten. Gepusht durch die Pandemie, hat sich die WiR konsequent auf das Lernen mit digitalen Ressourcen umgestellt. 90% aller Schülerinnen und alle KollegInnen haben iPads, das Schul-WLAN ist für alle zugänglich. Alle in der Schule haben eine eigene Email-Adresse, für die Kommunikation nutzen wir iServ. Es fehlte noch eine passende digitale Lernplattform, das in der Anfangszeit der Corona-Pandemie genutzte Microsoft-Teams wurde vom Datenschutzbeauftragten verboten.

Vor einem Jahr einigte sich die Schulgemeinschaft, die Open-Source-Software Moodle als Lernplattform zu nutzen. Ein Jahr verging mit Skepsis, vorsichtigen Herantasten, Begeisterung bei einigen Kolleg*innen und auch grundsätzliche Debatten, ob wir nicht wichtigere Probleme lösen müssten. Jetzt nach dem Reformationstag war die Zeit reif, sich gemeinsam an die Arbeit zu machen. Die Aula wurde neben dem Plenum zu einem Co-Working-Space. Das Support-Team lief in gelben Westen umher, um schnell technische Tipps zu geben.

Die Vorerfahrungen mit Lernplattformen und digitalen Tools ist im Kollegium (wie wahrscheinlich in allen Schulen) sehr unterschiedlich. Trotzdem ist es an diesem Tag gelungen, ein Gefühl des „wir arbeiten alle zusammen an Lernumgebungen“ für unsere Schüler*innen. Schon die Vorbereitung und die Konferenzplanung lief über Moodle. In Austausch- und Wertschätzungsrunden wurde sich gegenseitig über das Geschaffte berichtet. Für einige Kolleg*innen war es der erste Kontakt mit Moodle, andere haben ihre schon vorhandenen Lernumgebungen verfeinert und die schier unerschöpflichen Möglichkeiten weiter ausgelotet.

In der Unterrichtspraxis läuft natürlich nicht gleich alles rund: Aber ist aus meiner Sicht auch ein wichtiges Signal an die Schülerinnen, dass auch die Lehrerinnen Lerner sind, die sich in die neuen Möglichkeiten digitaler Ressourcen einarbeiten.

In den Lernumgebungen im Moodle werden zwar alle Lernaufgaben und Aktivitäten bereitgestellt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Lernenden nur alleine vor dem Gerät sitzen. Die Organisation der Beziehungen und Beratungen im Lernprozess ist jetzt die zentrale Aufgabe der Lehrer*innen geworden.

So hat uns der Reformationstag auch einen weiteren Schritt in der reformpädagogischen Entwicklung an der Reformschule Winterhude gebracht. Es werden noch viele weitere notwendig sein. Wir sind guten Mutes.

Design Thinking in den Einstiegsprojekten an der WiR

Morgens um 9:00 Uhr, Hamburg-Winterhude, Reformschule. Sprint-Planning für 36 Schülerinnen im Einstiegsprojekt „Global|Lokal“. Acht Teams aus Schülerinnen entwickeln Prototypen für eine Verbesserung der Welt.

Auf dem großen Bildschirm im Raum steht das TaskCard-Board mit dem Kanban-Board des Projekts. Die Karten mit den Aufgaben (Tasks) werden von der Spalte „To do“ zu „Doing“ geschoben. Die Aufgaben des Projekts werden für den Tag festgelegt. Mikis und Norbert ordnen den Tag in die Phasen des „Design Thinking“ – Prozess ein. Die Teamspalten im Board zeigen die Karten mit den Ergebnissen des „Sprint-Reviews“ des Vortags an. Es werden die Ergebnisse des Vortags diskutiert, auch was noch fehlt.

Dann werden die Teams in ihr teaminternen Sprint-Planning entlassen. Sie beugen sich auf ihren iPads über ihr Board.

Wie kann man junge Menschen zu mehr Naturschutz animieren?
Wie kann man nachhaltige Produkte auch Menschen mit wenig Geld zugänglich machen?
Wie kann man den Kinderschutz verbessern?
Wie kann man eine schulinterne Plattform für Second-Hand-Kleidung aufbauen?
Wie kann man die Situation für systemrelevante Berufe verbessern?
Wie kann man einen kostengünstigen Wasserfilter bauen?
Wie kann man Klischees über die Gleichberechtigung begegnen?
Wie kann eine Stadt aussehen, die echte Gleichberechtigung ermöglicht?

Wir sind im Einstiegsprojekt „GlobalLokal“, das mit Hilfe der „Design-Thinking-Methode“ Projekte zur Verbesserung der Welt entwerfen will. An der Reformschule Winterhude in Hamburg arbeiten alle Oberstufenschüler*innen die ersten drei Wochen des Schuljahrs an besonderen Projekten außerhalb des normalen Klassenverbands.

SCRUM-Planspiel „Eine Stadt planen“

GlobalLokal führt die Schüler*innen durch den Design-Thinking-Prozess und nutzt die agilen Methoden des Scrum-Rahmenwerks. Wir orientieren uns an den Materialien aus Design Thinking in der Schule und dem Digital Innovation Handbook. Nachdem in der ersten Woche die jungen Menschen noch durch den Prozess von Projekt-Backlock, Sprint-Planning, Stand-Up-Meetings, Sprint Reviews und Retrospektiven geleitet wurden, haben sie mittlerweile eigene Teams gegründet und führen den interativen Prozess zu ihren Projekten selbstständig durch. Alle Teams haben ein eigenes Kanban-Board auf Taskcards.de erhalten.

Zum Üben haben wir ein kleines Planspiel zum agilen Planen einer Stadt durchgeführt. Dieses habe ich in einem älteren Beitrag schon einmal vorgestellt.

Der Design-Thinking Prozess

Einen weiteren Input zum Thema Projektentwicklung gab Chris von GoBanyo aus Hamburg, in dem er von der Entwicklung des Duschbus für Obdachlose berichtete (https://gobanyo.org).

Einen guten Überblick über das Arbeiten mit agilen Tools gibt es in den Materialien einer Fortbildung von Uta Eichborn und Petra Walenciak bei Zeit für Lehrer (https://www.zeitfuerdieschule.de/veranstaltungen/zeit-fuer-lehrer/), die in einer Aufzeichnung nachzusehen ist.

An der Winterhuder Reformschule gibt es gerade eine große Bereitschaft, das Lernen mit agilen Methoden in den Fokus zu stellen. Wir werden in einzelnen Fächern agil arbeiten und das Konzept des SCRUM-Rahmenwerks auf den Unterricht anwenden.

Dazu werde ich an dieser Stelle weiter berichten.

Material:
Hopp-Foundation, Design-Thinking in der Schule, freier Download
Dark Horse Innovation: Digital Innovation Playbook, Murrmann, ohne Ort

Frühjahrsferien – Korrekturzeit: Business as usual? oder

Ohne eine Veränderung der Prüfungskultur keine Schulentwicklung

Ich sitze vor Bearbeitung zum Thema Sozialstaat im Fach PGW in der 13. Profil-Klasse „kulturell“ an der Winterhuder Reformschule in Hamburg. Die Bearbeitung ist eine Klausurersatzleistung, d.h. eine Prüfung, die nicht nach den Richtlinien der Ausbildungs- und Prüfungsordnung abläuft, sondern flexibler auf die Lernbedürfnisse der Lernenden eingeht. Prüfungen wie Klausuren sollen ja den Lernenden Gelegenheit geben, zu zeigen, was sie gelernt haben und was sie können. Klausuren in ihrer sehr strengen Form (schriftlich, jeder hat die gleiche Aufgabe, alle schreiben gleichzeitig, alle haben das gleiche Zeitbudget, keine Hilfsmittel, kein Internet) entsprechen nicht mehr dem Verständnis von Lernen, das wir heute haben.

An der Winterhuder Reformschule haben wir uns an der Oberstufen darauf verständigt, neben den klassischen Klausur-Prüfungen auch neue Formen der Lernüberprüfung auszuprobieren. Ich sitze deshalb jetzt vor den Portfolios eines Formative Assessments.

Ein Formative Assessment ist ein lernbegleitendes und dialogisches Format, um Lernfortschritte zu zeigen und zu bewerten (vgl. Nölte, (1). Die Lernenden bekommen eine komplexe Aufgabe, die in einem bestimmten Zeitraum (z.B. 2 Wochen) zu bearbeiten ist. Während des Bearbeitungszeitraums steht die Lehrperson für Beratung und Unterstützung zur Verfügung. Die Aufgabenstellung wird im Dialog ständig präzisiert. Das Besondere am Formative Assessment ist die Selbsteinschätzung der Lernenden. Sie bestimmen eine Zielnote, die sie erreichen wollen. Die Lernenden stellen in der Selbsteinschätzung dar, wie und warum sie die Anforderungen durch ihre Bearbeitung erreicht haben. Die Aufgabenstellung findet sich hier:

Die Bewertungskriterien sind von Anfang an bekannt. Sie werden während des Bearbeitungsprozess präzisiert und diskutiert, damit Missverständnisse ausgeräumt werden. Die Bewertungskriterien und weitere Hinweise habe ich auf einem Google Docs zur Verfügung gestellt. Ich habe durch die dialogische Begleitung festgestellt, dass bei den Lernenden sehr unterschiedliche Vorstellungen von den Bearbeitungsformen bestanden. Das wäre bei einer normalen Klausur gar nicht aufgefallen.

Die SchülerInnen geben ihr Portfolio mit einer Selbsteinschätzung und einer Zielnote ab. Das ist kein Feedback, sondern eine Erläuterung, woran man erkennen kann, dass die Bearbeitung die Bewertungskriterien erfüllt. Dabei sind besonders Hinweise auf spezielle, auch kreative Bearbeitungen besonders hilfreich. Auch haben SchülerInnen manchmal auf einzelne Aufgabenteile besonderen Schwerpunkt gelegt und andere einfacher bearbeitet: Das ist alles möglich. Mir als Bewertender helfen solche Hinweise, damit die die Schüler*innen-Leistung nicht nur durch meine eigenen Brille sehe.

Ich hatte damit gerechnet, dass die Zielnoten schon recht realistisch sind. In den meisten Fällen konnte ich dem Notenvorschlag folgen, manchmal habe ich noch 1-2 Punkte drauflegen können. Nur in ganz wenigen Fällen musste ich abwerten. Das zeigt, dass die Lernenden schon ein ganz gutes Gefühl für ihre Leistung haben.
Sie haben sich aber auch sehr ins Zeug gelegt. Die Bearbeitungen waren durchweg umfangreicher als erwartet, der Arbeitsaufwand deutlich größer als die angepeilten 8-10 Zeitstunden. Eigentlich hatte ich die 2 x 6 Zeitstunden aus dem Unterricht plus 2 Zeitstunden „Hausarbeit“ eingeplant. Die Schüler_innen haben offensichtlich deutlich mehr Zeit investiert. Hier muss ich mir noch Systeme überlegen, wie der Zeitaufwand eingegrenzt werden kann. Viele Schüler_innen haben sich vor den Frühjahrsferien krank gemeldet, um in der Zeit die Aufgaben fertig zu machen. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Das ist noch immer der Nachteil der Klausurersatzleistungen: Sie arten in dem Zeitaufwand meist sehr aus. Vielleicht hat jemand eine Lösung als Vorschlag.

Die Hoffnung, dass sich der Zeitaufwand für die Bewertung gegenüber Klausuren reduziert, hat sich leider auch nicht bewahrheitet. Die Portfolios waren einfach zu umfangreich, die meisten haben 10 – 20 Seiten gefüllt. Die Ergebnisse waren durchweg erfreulich: Die Durchschnittsnote einer Klasse liegt bei 12 Punkten! Ich kann nach den Portfolios sagen, dass die Schüler*innen die eigenständige Bearbeitung eines Themas (Sozialstaat) mit unterschiedlichen Bearbeitungsformaten beherrschen. Damit ist meine Mission erfüllt. Für die Lernenden stellt sich das gute Gefühl ein, etwas gelernt zu haben, einen Schritt vorangekommen zu sein. Dieses Gefühl halte ich für sehr lernwirksam, das hätte eine klassische Klausur nie erreicht.

Die Diskussion um alternative Prüfungsformate wird aktuell bleiben, auch hier in meinem Blog. Ich werden weiter versuchen, an unserer Oberstufe kreative Formate zu finden und eine Ersatz für die Klausurformate des letzten Jahrhunderts zu finden. Das bleibt immer ein Drahtseilakt, weil die Abiturprüfungen nach wie vor sehr konservativ sind. Nach den Empfehlungen der KMK zur Bildung in der digitalen Welt sollen sich Aufgabenformate deutlich wandeln. Dazu empfehle ich den Beitrag von Christian Albrecht (2)

(1) https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/255718/formative-assessment-bewerten-um-des-lernens-willen/

(2) https://blog.pruefungskultur.de/author/christianalbrecht/

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Semesterprojekte gestartet

Agile Schule steht auf einem Poster, das auf unserem Klassenbildschirm auftaucht. Der typische Kreis der Iteration, der Sprint, ist deutlich zu erkennen. Als Warm-Up gibt es eine Präsentation von Benjamin Adrion, dem ehemaligen Profi vom FC St. Pauli, in dem er das Projekt „Viva con Agua“ vorstellt.

Wir starten in den dritten Projekttag von fünf in diesem Semester. Unter der Überschrift „Mit Gemeinwohl die Welt retten!?“ erarbeiten die Schüler_innen Geschäftsideen für ein eigenes Start Up. Wir orientieren uns dabei an dem Konzept der Social Entrepreneuship Education des Vereins SEEd aus Kiel https://seed.schule . Der heutige Projekttag steht nach der Ideensammlung und der Zielgruppenanalyse im Zeichen des Geschäftsmodells. Die 13. Klasse an der Oberstufe der Winterhuder Reformschule ist jedoch nur spärlich anwesend.

Nachdem ich in meinem letzten Beitrag von der Struktur der Projekte an der Oberstufe in Hamburg-Winterhude berichtet habe, soll es heute mehr um die Schwierigkeiten und Hemmnisse bei der Entwicklung von Projektlernen an der Oberstufe gehen.

Nur etwa die Hälfte der Schüler_innen in der Klasse sind an diesem Montag morgen anwesend. Der Rest hat sich krankgemeldet, hat Arzttermine oder will lieber zu Hause arbeiten. Wenn auf dem Stundenplan „Klausurvorbereitung“ gestanden hätte, wären alle da. Das zeigt, Projektarbeit hat gegenüber klassischem Lernen an der Oberstufe, bei dem es in erster Linie um Bestehen einer Klausur und den Abi-Prüfungen geht, einen schweren Stand. Auch wenn die Schüler_innen in der Sekundarstufe I viele Erfahrungen mit Projekten und freien Lernformen gemacht haben, in der Oberstufe scheint es wieder verlernt zu sein.

Das liegt an der oberstufentypischen Struktur von Fächern, die in erster Linie von Wissenaneignung ausgehen. Diese Fächer werden getrennt voneinander unterrichtet, jedes Fach erteilt eine eigenen Note. Ziel der Oberstufe, das äußern mir gegenüber die Schüler_innen immer wieder, ist das Erreichen einer möglichst guten Abiturnote. Die Chance, sich an der Studienstufe zwei Jahre lang mit spannenden Themen vertieft auseinandersetzen zu können, wird so nicht als Privileg wahrgenommen. Bei einer Umfrage am Anfang des Schuljahres in meiner Klasse war „Durchkommen“ das vorherrschende Motto.

Der Befund für mich ist: Die Struktur der Oberstufe ist projektfeindlich. Auch wenn im Bildungsplan Kompetenzen ausgewiesen werden, orientieren sie sich doch in erster Linie am Fachwissen einzelner Fächer. Zwar wird für das Fach Seminar fächerverbindendes und -übergreifendes Lernen gefordert, die Strukturen der Oberstufe geben aber keinen Rahmen, das sinnvoll umzusetzen.

So fordert die Böll-Stifung in der Veröffentlichung „Neue Lernkultur für alle Schulen“ in dem Kapitel „Lösungsansätze“:

„Fachliche Kompetenzen zu erwerben, liefert eine Grundlage zum Verständnis der Welt. Aber erst in der Zusammenschau unterschiedlicher fachlicher Perspektiven entstehen Antworten auf die großen Zukunftsfragen wie die Entwicklung
des Weltklimas, Globalisierung und Digitalisierung sowie die Gestaltung unserer Demokratie. Erst die Verbindung von Erkenntnissen aus den Naturwissenschaften mit den Geistes- und Sozialwissenschaften führt zu Lösungsansätzen dieser Fragen. Deshalb muss der Fachunterricht um transdisziplinäre Fragestellungen erweitert werden. Dazu eignet sich insbesondere das Lernen in Projekten, die an realen Problemen ansetzen und Handlungsorientierung, praktische Erfahrung und kritische Reflexion ermöglichen. Schulen brauchen Freiräume, um ihren Unterricht entsprechend zu gestalten.“

CORNELIA VON ILSEMANN, SYLVIA LÖHRMANN, HANNELORE TRAGESER, PHILIPP ANTONY: Neue Lernkultur für alle Schulen! Impulse für ein zukunftsfähiges Bildungswesen, Herausgeberin: Heinrich-Böll-Stiftung e.V., August 2021

Daraus folgt, dass wir, solange wir ein Oberstufensystem mit Fixierung auf Noten und Abschlussprüfungen haben, das Projektlernen in dieses System integrieren müssen. Sonst wird das Projektlernen immer ein Lernen zweiter Klasse bleiben. Die Alternative wäre eine klare Trennung von Lernen und Bewerten, ein System, in dem es große bewertungsfreie Bereiche gibt, in dem Projektlernen gleichberechtigt neben fachlichem Lernen steht.

Aber auch Lehrenden verlangt der Projektunterricht eine neue Flexibilität ab. Ein großer Hemmschuh für die Umsetzung von Projektunterricht über die Fachgrenzen hinweg ist das Fehlen von Zusammenarbeitsstrukturen unter Lehrenden. Appellartig wird immer wieder die nötige Zusammenarbeit von Lehrpersonen gefordert und beworben. Die Strukturen, in denen Schule organisiert ist, behindern aber, dass diese Zusammenarbeitsstrukturen entstehen können. Nötig wären feste Koordinationszeiten der entsprechenden Fachlehrer_innen, Zeitfenster zum gemeinsamen arbeiten. Bisher hängt es aber von jeweiligen persönlichen Engagement ab, ob eine Zusammenarbeit zustande kommt, sie wird nicht systemisch angelegt. Sie wird dadurch zu einer moralischen Frage, sie sollte aber reine professionelle Frage sein.

Gesucht sind also gute Konzepte für Zusammenarbeitsstrukturen, die systemisch in den Schulalltag integriert sind. Über Erfahrungsberichte bin ich sehr dankbar.

Auch die Organisation stellt das Arbeiten in Projekten eine Schulorganisation vor Probleme. Schon der normale Stundenplan ist schon eine große Herausforderung. Wenn dann in Projekttagen aus diesem Stundenplan ausgeschert wird, ist ein hohes Maß an Kommunikation und Geduld nötig, alle Beteiligten, Lernende wie Lehrende auf den Wechsel der Organisationsstruktur vorzubereiten. An der WiR organisieren wir 5 Projekttage im Semester, die im Abstand von 2-3 Wochen je an einem Wochentag Montag bis Freitag liegen. Dadurch „spendet“ jedes Fach gleich viel Stunden in die Projekte hinein. Die „eingestreute“ Struktur der Projekttage in den Semesterablauf braucht eine rechtzeitige Ankündigung und Raumplanung, damit keine Überraschungen entstehen („Huch, heute ist Projekttag?“). An den Projekttagen bleibt der Lehrkräfteeinsatz wie im Stundenplan bestehen, nur dass die Lehrenden dann nicht „ihr“ Fach unterrichten, sondern Begleiter in den Projekten sind. Die Projektlehrer_innen steuern die Arbeit in Zeiten ihrer persönlichen Anwesenheit und sonst über Projektplanung-Tools (ich benutze ein Padlet).

Die Umsetzung von Projekten an einer Oberstufe ist kein Vorhaben, dass schnell und leicht umzusetzen ist. Man darf auch nicht erwarten, dass sie nur mit großer Begeisterung von Schüler_innen sowie Lehrer_innen aufgenommen wird.

Ich würde mich über Erfahrungen über das Arbeiten mit Projekten und einen Austausch freuen.

Beitragsbild aus der Ausstellung „Space Mission“ von Tom Sachs, die im Moment in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen ist. https://www.deichtorhallen.de

Die Oberstufe der Winterhuder Reformschule wird eine Projekt-Oberstufe.

Einstiegsprojekt des Profils 13 kulturell: vor Goethes Gartenhaus in Weimar

„Augen zu und durch“ war ein Motto, das mir ein 13-Klässler nannte, mit dem er sein letztes Schuljahr beginnen wollte. Der Sinn der Oberstufe scheint für viele Schülerinnen und Schüler in dem möglichst stressfreien Erreichen des „Reifezeugnis“ zu sein.

Wenn man sich den Dschungel der Belegauflagen, Prüfungsrichtlinien in den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen und der großen Zahl von Fächern, die ohne Zusammenhang ihre hohen Anforderungen definieren; dann kann man schon mal an das „schnell durch“ denken.

Dabei kann die Oberstufe ein wichtiger Raum für junge Menschen sein, wichtige Erfahrungen und Auseinandersetzungen auf einem hohen Niveau zu machen. Allein beim Abarbeiten von Bildungsplänen darf es allerdings nicht bleiben. Ein solides Fachwissen ist immer hilfreich, aber eigentlich geht es um den Sinn des eigenen Handelns.

Wir glauben an der Winterhuder Reformschule, dass sich sinn-geleitetes Lernen am ehesten in Projekten verwirklichen lässt. Neben den traditionellen „Einstiegsprojekten“ und den „Lernexpeditionen“ (Lex-Woche) kommt in diesem Schuljahr die „Semesterprojekte“ in der Oberstufe hinzu.

Das Besondere an den Einstiegsprojekten in den ersten drei Wochen des Schuljahres ist die Planung durch den „Projektrat“, der sich aus Schülerinnen und Schülern zusammensetzt. Der Projektrat organisiert mit Unterstützung von zwei Lehrkräften die Einstiegsprojekte und versucht aus den Interessen der Schüler_innen und den Expertisen der Lehrendenden interessante Projektideen zusammenzustellen. Die Schüler_innen wählen dann aus dem Angebot ihr Projekt aus. Am Ende werden die Projekte in einem „Projektfest“ an einem Donnerstag Abend für Eltern und Schulöffentlichkeit präsentiert.

Während die Lehrenden notenfreie Projekte im Kopf hatten, haben die Schüler_innen vor einigen Jahren die Bewertung der Projekte eingefordert, weil wirklich viel Arbeit in sie hineingesteckt wird. Seit dem werden die Projekte als eine Klausurersatzleistung in einem passenden Fach gewertet.

Die Lernexpedition (LEX-Woche) ist für die Schüler_innen die Möglichkeit, eine Woche lang ein eigenes Lernvorhaben umzusetzen. Dabei gibt es keine Vorgabe seitens der Schule. Die Projekte werden angemeldet, mit den Lehrenden beraten und genehmigt. Eine Bewertung oder Kontrolle findet nicht statt. Lernexpeditionen können beispielsweise das Lernen eines Musikinstruments sein, Vertiefen einer Fremdsprache, das Lesen eines besonderen Fachbuchs oder auch die Durchführung eines intensiven Trainingsprogramms. Am Ende geben die Schüler_innen eine Reflexion ihrer Woche beim Seminarlehrenden ab.

Um auch den normalen Fachunterricht auf Grundlage der Bildungspläne stärker projektorientiert durchzuführen, starten wir in diesem Schuljahr mit den Semesterprojekten. In ihnen sollen die Fachinhalte mehrerer Fächer innerhalb eines Projekts entwickelt werden. Das ist auch für die Lehrenden als „Projektdesigner“ eine herausfordernde Aufgabe, weil die Bildungspläne auf dem traditionellen Unterricht aufbaut. Einerseits verpflichtende Inhalte und andererseits offene, variable Lernformen in einem Projekt zu vereinbaren, bedarf einiger Gedankenarbeit. Sie bietet aber auch die Chance, den Nutzen von Fachwissen für die Lösung von Zukunftsproblemen einzusetzen, und nicht nur als eine Wissensanhäufung für die nächste Klausur.

Wichtig ist deshalb bei den Semesterprojekten, dass als Ergebnis des Projekts ein Vorschlag für eine Verbesserung eines gesellschaftlichen Problems steht. Die Projekte sollen für die Lösung von „echten“ Problemen stehen und den Nutzen von Fachinhalten für die Lösung dieser Probleme deutlich machen.

Ich habe hier in meinem Blog schon mehrere Semesterprojekte, die ich durchgeführt habe, vorgestellt. Jetzt an der Winterhuder Reformoberstufe hat sich eine ganze Abteilung auf den Weg gemacht, das Projektlernen zu stärken. Durch die drei Bausteine bekommen die Projekte ein deutliches Gewicht im Lernen an der WiR. Trotzdem kann auch die Reformschule nicht aus den engen Anforderungen der Ausbildungsordnung ausscheren und es bedarf immer wieder viel Kreativität, pädagogische Ansprüche und formale Anforderungen auszutarieren.

Lernen oder Prüfen?

Nach den Frühjahrsferien sollen die Abschlussjahrgänge wieder in den Präsenzunterricht kommen. Viel wurde in den letzten zwei Monaten darüber diskutiert und geschrieben, welche negativen Auswirkungen die Schulschließungen auf die Entwicklung der jungen Menschen haben. Das unsägliche Wort der „Lernrückstände“ wurde geboren, als ob sozialen Probleme, die Isolation, übermäßige Internetnutzung, fehlende Bewegung usw. nicht existieren würden.

Jetzt sollen wieder die Schüler*innen, die Prüfung machen, in die Schule kommen. Damit zeigt sich deutlich, wo die Kultusminister den Schwerpunkt in der Schule sehen: Im Absolvieren von Prüfungen. Dahinter hat sich alles unterzuordnen. Warum ist die Prüfung eines Neuntklässlers wichtiger als das Lernen eines Achtklässlers?

Hier in der Krise der Pandemie zeigt sich die Krise des Bildungssystems: Es ist in erster Linie auf Berechtigungen, Abschlüsse und Auslese ausgerichtet, und erst nachrangig am Lernen. Die Persönlichkeitsentwicklung kommt in den Bildungsplänen kaum vor.

Jetzt in den Zeiten der Schul-wieder-Öffnung sollte doch auf das Fördern des Lernens der Schwerpunkt gelegt werden, auf das Schaffen eines sozialen Miteinanders, das solange gefehlt hat, auf das Miteinander und die Bestärkung, dass die junge Generation keine benachteiligte Generation ist.

Aber wir Lehrenden sollen die Schüler*innen auf Prüfungen vorbereiten.

Das ruft nach einer Trennung von Lernen und Prüfen. In der Schule sollte in erster Linie Zeit für das Lernen und das Machen von Erfahrungen sein. Wenn es um Abschlüsse und Prüfungen geht, sollten diese vom Lernen deutlich getrennt werden.

Gerade der „Wackelpudding“ aller Bewertungen, die mündliche Mitarbeit, ist völlig in das Ermessen des Lehrenden gelegt. Selten werden klare Kriterien angewendet. Stille und zurückhaltende Schüler*innen haben hier kaum eine Chance.

Das Lernen, das überprüfbar sein muss, ist ein anderes Lernen als das freie, unbewegtere Lernen. Hier sind Irrtümer, Umwege, Erfahrungen, möglich, die nicht in ein Bewertungssystem zu pressen sind. Ich merke es oft an mir selbst: Wenn ich Aufgaben für einen Lernabschnitt konzipiere, habe ich schnell die Frage im Kopf: Wie kann ich das bewerten.

Aus dieser Falle möchte ich heraus. Schule sollte für mich ein Ort sein, in dem jungen Menschen gefördert und begleitet werden. Die Frage nach der Prüfung und Bewertung sollte ausgelagert werden, zumindest aus dem täglichen Lerngeschäft.

Mindestens sollten die Schulschließungen den Diskussion auf veränderte (Über-) Prüfungskulturen legen. Wir brauchen andere Verfahren, um Berechtigungen auf nächste Lernschritte zu verteilen, wie die Gymnasialempfehlung, der erste und zweite Bildungsabschluss, das Recht, auf die Oberstufe gehen zu können, das Recht eine Universität besuchen zu können.

„Ein Leben lang Nachteile“?

https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/schulschliessungen-reaktionen-101.html

In den letzten zwei Wochen ist die Diskussion um Schulschließungen und Schulöffnungen wieder richtig in Fahrt gekommen. Was fast alle Beiträge gemeinsam haben, ist das lineare Verständnis von Lernen: Lernen findet wie eine Fahrt auf der Autobahn statt, alle zusammen in eine Richtung. Das Ziel muss sein, dass alle möglichst gleich schnell fahren. Es wird immer wieder gesagt, alle Schüler*innen müssen „auf einen Stand gebracht“ werden und „Lerndefizite“ müssten ausgeglichen werden. Diesem Verständnis liegt das alte Bild von Kindern zugrunde, die „leere Fässer“ sind, die mit „Wissen und Bildung“ gefüllt werden müssen. Anhand von Messungen kann man dann den „Lernstand“ ablesen“.

In dieser Krise können wir sehen, wie dieses Lernverständnis an seine Grenzen kommt. Es gibt keine Orientierungspunkte, um zu sinnvollen Entscheidungen über den Umgang mit schulischer Bildung in diesen Pandemie-Zeiten zu kommen.

Ganz fatal empfinde ich die Botschaft, die durch diese Diskussion an die junge Generation gesendet wird. Klar ist, dass Kinder und Jugendliche besonders unter den Beschränkungen leiden, weil ihre Persönlichkeit noch nicht so ausgereift ist wie bei Erwachsenen oder sie mitten in Entwicklungsumbrüchen wie der Pubertät stecken. Sie dann auch noch zu Bildungsverlierern zu erklären, halte ich für besonders gemein. Sich im Homeoffice für das Lernen zu motivieren, ist für Kinder und Jugendliche schon schwer genug, ihnen dann auch noch zu erklären, sie würden „ein Leben lang Nachteile“ haben, ist der Motivationskiller.

Lernen ist kein linearer Prozess! Er ist chaotisch und von Erfolgen und Umbrüchen, von Sprints und Lernplateaus, von Aha-Erlebnissen und Lernblockaden, von „Licht angehen“ und „Blackouts“ geprägt. Schule und Lehrende versuchen, Struktur in diesen Prozess zu bringen, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Diese Erkenntnis ist vielfach durch die Lernforschung nachgewiesen – sie schlägt sich leider in dem, wie wir Schule machen, wenig nieder.

Deshalb bedeutet diese Erkenntnis für die aktuelle Situation, dass nicht die Frage „Schulöffnung ja oder nein?“ wichtig ist, sondern wie wir auf die sehr unterschiedlichen Situationen in dieser Krise reagieren können und als System Schule bestmögliche Unterstützung geben können.

Ich kenne Schülerinnen, die sehr gut mit dem Fernlernen klar kommen, die ein unterstützendes familiäres Umfeld haben, gute technische Ausstattung. Diese Schüler brauchen ein gutes digitales Angebot und wahrscheinlich nur eine punktuelle Betreuung. Ich kenne sogar Schülerinnen, die froh sind, dem täglichen Trubel des Klassenraums entflohen zu sein und nun bessere Ergebnisse schaffen.

Ich kenne viele Schüler*innen, die sich schwer motivieren können, morgens nicht aus dem Bett kommen. Sie brauchen die direkte Ansprache in Videokonferenzen, das Nachfragen, den direkten Kontakt mit den Lehrenden.

Es gibt auch viele Schüler*innen, die kaum familiäre Unterstützung haben, meist keine ausreichende technische Ausstattung wie WLAN oder Computer zu Hause. Bei ihnen sollte man überlegen, sie in kleinen Gruppen mit Abstand in der Schule zu betreuen, um Ihnen durch persönliche Ansprache zu unterstützen.

Zwischen diesen drei skizzierten Gruppen gibt es natürlich noch viele dazwischen. Aber es wird deutlich, dass ein schwarz oder weiß, Schulöffnung oder Schulschließung, nicht die lösungsorientierte Frage ist. Wenn wir anerkennen, dass Lernen ein höchst individueller, nicht linearer Vorgang ist, brauchen wir auch differenzierte Angebote für die unterschiedlichen Schüler*innen.

An der Winterhuder Reformschule versuchen wir den Weg in diese Richtung zu gehen. Aber auch eine Reformschule ist in das System der Schuladministration eingebunden und vielen Zwängen, wie Noten und Abschlussprüfungen ausgesetzt.

Die Altersschwäche der wichtigsten Abschlussprüfung in Deutschland, dem Abitur, wird in diesen Krisenzeiten besonders deutlich. Gerade in eine Pandemie ist die Fixierung auf eine Prüfung, in der die Stelle hinter dem Komma die Lebenschancen vergibt, besonders absurd. Das Abitur hat sich seit meinem Abitur vor 40 Jahren kaum verändert. Es werden drei Klausuren geschrieben und eine mündliche Prüfung abgehalten. Nur eine Präsentationsprüfung gab es bei mir noch nicht. Die vielen Vorschläge, wie man dieses Jahr mit einem „Corona-Abitur“ umgehen soll, zeigen den Weg in die Richtung: Die Rolle und die Art des Abiturs müssen dringend überdacht und reformiert werden.

Die Aufgabe der Vergabe von Lebenschancen, die die Schule im Moment hat, muss von den schulischen Schultern genommen werden. Die aufnehmenden Institutionen, wie Lehrbetriebe, Fachschulen, Hochschulen und Universitäten müssen selbst Verfahren entwickeln, wie sie Bewerber aufnehmen. Die Schulnoten haben nur noch begrenzten Aussagewert. Viele Unternehmen verzichten schon auf das Betrachten der Abschlussnoten, wie z.B. die Deutsche Bahn.

Dann könnten die Schule das machen, was eigentlich ihr Auftrag ist: jungen Menschen beim Lernen unterstützen und sie bei ihrem Weg in die Gesellschaft begleiten.

Start in den Hybridunterricht: Es geht doch.

Heute, Mittwoch der 15.12.2020, gehen wir in den Schullockdown. Anders als in anderen Bundesländern bleiben die Schulen in Hamburg offen. Die Präsenzpflicht wird ausgesetzt. Endlich haben wir die Möglichkeit, hybrid den Unterricht zu gestalten.

Heute Mittwoch, 8.30 Uhr. Ich öffne den Video-Konferenzraum für die Werkstatt Licht in den Jahrgängen 8-10 an der Winterhuder Reformschule. Es sind schon zwei Schüler vor mir da. Okay, einer erzählt, er liege noch im Bett. Aber hat sein iPad vor der Nase und ist bereit. Eine kurze Blitzlichtrunde ergibt, dass alle guter Dinge sind und positiv in den Fernunterricht gehen. Keiner hat Bedenken.

Also muss ich die Bande aus dem Bett holen. Auftrag: Sammelt farbige Gegenstände in eurem Zimmer und sortiert sie in der Reihenfolge des Farbspektrums. Macht ein Foto und ladet es auf unserer Flinga-Whitewall. 20 Minuten Zeit.

Das Farbspektrum

Die ersten sind nach 10 Minuten fertig, es gibt kreative Ergebnisse zu bestaunen. „Wie komme ich in die Flinga-Wall?“ Ich muss nichts sagen, sofort ist ein Mitschüler da und gibt den entscheidenden Tipp. Alles findet sich auf unserem Kurs-Padlet.

Das Padlet

Dann arbeiten die Schüler_innen selbstständig in ihren Werkstatt-Tagebüchern an ihren Themen. Die Werkstatt bietet freie Lernangebote, bei der sie selbst Schwerpunkte setzen können. Nach 45 Minuten sollen sie ihre beste Aufgabe, die sie bisher zum Thema Licht bearbeitet haben, als Mini-Portfolio abgeben. Dazu fotografieren sie entweder als Screenshot aus ihrem iPad oder als Foto aus ihrem Papier-Heft ihre Arbeit ab und laden sie im Aufgaben-Tool in MS-Teams hoch.

offene Arbeitsmöglichkeiten in der Werkstatt Natur

Die letzten 10 Minuten gehören dem Feedback und den Wünschen für schöne Weihnachtsferien.

Aber auch: vier Schüler waren nicht da. Ich habe die Klassenleitungen angeschrieben, ob sie etwas gehört haben, ob sie krank sind oder anderes. Wir lassen keinen zurück.

Mich stört, dass immer wieder von „Lernrückständen“ im Zusammenhang von hybridem Lernen gesprochen wird. Dieser Begriff suggeriert das Ideal, dass alle Schüler_innen „auf den gleichen Stand gebracht“ werden müssen. Wir wissen aber doch durch die Lernforschung, dass Lernen ein sehr individueller, manchmal chaotischer und nicht linearer Vorgang ist. Wir Lehrenden haben die Aufgabe, möglichst günstige, vielfältige Lernmöglichkeiten zu schaffen. Die Idealisierung des Präsenzunterrichts, in proppenvollen Klassen, in lärmenden Umgebungen, dann noch mit Masken, sind alles andere als eine ideale Lernumgebung. Das heißt nicht, das Präsenz nicht wichtig ist. Doch wir sollten vielfältig, flexibel, eben agil die Umgebung gestalten.